Vier Tage aktiv in der Natur

Die Sonne glitzert verspielt auf den Wellen der träge dahin fließenden Elbe. Zu beiden Seiten ragen die schroffen Felsen des Elbsandsteingebirges in den Himmel. Ein warmer Wind fährt in das frische Grün der umliegenden Bäume und taucht das Tal in ein summendes Rauschen.

Es ist gegen halb elf am Montag Vormittag, dem 18. Mai 2015, als der Bus aus Chemnitz in Schmilka auf dem Parkplatz hält. Die Türen öffnen sich und ein aufgeregtes Schnattern erfüllt die Luft. Koffer, Taschen, Rucksäcke, Isomatten und Schlafsäcke stapeln sich auf dem Fußweg. Suchende Blicke huschen von rechts nach links und entdecken zwei große Schlauchboote, die in sicherer Entfernung zum Ufer auf der Wiese liegen. Daneben steht ein Kleinbus mit Anhänger. Zwei braungebrannte Männer kommen grinsend auf die Gruppe von Kindern zu. Man kennt sich, ist man doch bereits in den vergangenen Jahren gemeinsam gereist. Sie werden von den Kindern wie alte Freunde begrüßt. Torsten Roder, von allen nur „Torte“ genannt, und Falk Sohr werden die Reiseführer für die nächsten vier Tage sein. Wo immer es darum geht, mit Personen jedem Alters auf die Berge, unter die Erde, auf Flüssen, über Seen, in den Urwald, kurz, aktiv in die Natur zu gehen, ist ihr „Aktivreiseteam“ willkommener Ansprechpartner und erfahrener Reiseveranstalter.

Die Schlauchboote liegen nicht ohne Grund in der Sonne. Eine Tour in das acht Kilometer entfernte Bad Schandau ist geplant. Doch bevor alle Leinen losgemacht werden können, sind wichtige Einweisungen nötig. Die Elbe, so gemütlich sie auch scheinen mag, ist nicht ungefährlich. Strömungen, versteckte Strudel und der Schiffsverkehr verlangen Verhaltensweisen, die vorerst vermittelt werden müssen. Mit Paddel und Rettungsweste ausgestattet, das Gepäck im Kleinbus verstaut, wird die Klasse in zwei Gruppen mit je zwölf Schülern und einem Pädagogen geteilt. Die erste Schwierigkeit wird das Einsetzen des Bootes sein und trockenen Fußes darin Platz zu nehmen. Schnell wird klar, das Paddeln in einem solchen Schlauchboot ist kein Sport für Einzelgänger. Nach einigen Grundübungen der Paddel- und Steuercrew auf dem Wasser beginnt die Fahrt die Elbe hinab. Acht Kilometer klingen nicht viel, doch die Strecke ist für die ungeübten Teilnehmer eine Herausforderung. Flache Stellen, auf deren versteckten Steinen die Boote aufsitzen und die Heckwellen passierender Schleppverbände und Ausflugsdampfer verlangen eine geschlossene Mannschaftsleistung aller Beteiligten. Torte fährt mit einem Kajak nebenher und gibt helfende Ratschläge oder Manöveransagen. Es dauert eine Weile, bis sich die Kinder aufeinander einstellen, die Paddel im Takt ins Wasser stoßen und gleichmäßig tief eintauchen. Am Ende wird es fast zwei Stunden dauern, bis die Boote in Bad Schandau an einer kleinen Bachmündung an Land gehen. Dort wird von einigen Schülern ein Mittagsimbiss aus Brot, Wurst, Käse, Obst und Gemüse vorbereitet, während andere die Gelegenheit nutzen, in das flache Wasser zu springen. Nach dem Essen verstauen sie die Boote wieder im Anhänger des Kleinbusses und es beginnt der Aufstieg aus dem Elbtal hinauf auf das rechtselbische Hochland. Das Ziel ist Porschdorf, ein scheinbar verschlafenes Dörfchen, von dem aus man einen beeindruckenden Blick hinüber zu den markante Tafelbergen des Elbsandsteingebirges hat. Doch die Aussicht interessiert in dem Moment niemanden. In Porschdorf steht der Aktivhof, ein alter Vierseitenhof inmitten von blühenden Rapsfeldern, der die Unterkunft für die nächsten Tage sein wird. Im Haupthaus sind Gemeinschaftssräume und sanitäre Einrichtungen untergebracht. In der größeren der beiden Scheunen ist Platz für diverse Aktivitäten. Unter einem offenen Unterstand befindet sich die Küche. Hier wird das Zentrum des Aufenthalts sein. Tische und Bänke laden zum Sitzen und Essen ein. Geschlafen wird jedoch nicht unter den festen Dächern. Auf einer Wiese vor dem Eingang des Hofes stehen vier Zelte. Drei Große, den Tipis der Indianer nicht unähnlich, für die Kinder und ein kleines „Wurfzelt“ für die Pädagogen. Während die Schlafplätze eingerichtet werden, bereiten eine Auswahl von Schülern das Abendessen unter der Anleitung von Torte und Falk vor. Zur Feier der Ankunft wird gegrillt. Bald zieht der Duft leckerer Bratwürste über den Hof und locken alle zum Essen. Später am Abend wird auf einer offenen Stelle neben der Küche ein Feuer entzündet. Einundzwanzig Uhr treffen sich alle dort zu einem ersten Auswertungsgespräch, bevor die Kinder in ihre Schlafsäcke kriechen und der naheliegende Kirchturm zweiundzwanzig Uhr zur Nachtruhe schlägt. Noch lange füllt ein Mumeln und Wispern die Luft zwischen den Zelten.

Für einige ist es eine kurze Nacht, als der Wecker am Morgen klingelt. Der Küchentrupp ist früh auf den Beinen, Rührei zu braten, Brötchen, Wurst, Käse, Joghurt bereitzustellen, Obst zu schneiden und die Tische mit allerlei süßen Cremes und Marmeladen zu decken. Heute ist ein besonderer Tag. Ein gecharterter Bus bringt alle an den Fuß des Pfaffensteins, einem der markanten Tafelberge aus Sandstein auf der anderen Seite der Elbe. Warum ein Teil der Schüler mit Helmen, ein anderer mit Gurten ausgestattet wird, bleibt vorerst ein Rätsel. Der Proviant wird gleichmäßig in den Rucksäcken aller Personen verteilt. Anschließend beginnt eine kurze Wanderung vorbei an Wiesen und Feldern, am Waldrand entlang, ein paar steile Stufen hinauf, bis man sich inmitten der Felsen befindet. Nach kurzer Erholungspause wird das Geheimnis gelüftet. In zwei Gruppen bekommen die Schüler eine Einführung durch Torte in das Klettern am Fels mit Seil und Gurt. Außerdem sollen die anderen mit Falk, als erfahrenem Bergführer, die Tiefen der „Bellohöhle“ mit Helm und Stirnlampe erkunden. Später soll gewechselt werden.

Eine geneigte Felswand bietet Gelegenheit sich im Bergsteigen zu versuchen. Die Verwendung des Gurts, das Einlegen und Führen des Seils, das Sichern und Steigen ist eine Herausforderung, der sich alle Beteiligten stellen. Es dauert, bis man Vertrauen entwickelt. Vertrauen in das Material und die eigenen Fähigkeiten. Doch mit jedem Versuch, mit jedem Schritt wächst die Sicherheit und damit der Spaß am Klettern und jeder, der oben ankommt und einen Blick in die Umgebung wirft spürt den Stolz, erreicht zu haben, woran er vorher nicht geglaubt hatte.

Die anderen umgibt plötzliche Finsternis mit dem Abstieg durch das Mundloch in die Höhle. Nun kann man sich nur noch auf den Schein der Stirnlampe verlassen, sieht man nur noch das, was durch die Bewegung des Kopfes im Schein der Lampe auftaucht. Wer glaubt, einen touristischen Spaziergang durch eine weiträumige Höhlenhalle vor sich zu haben, sieht sich geirrt. Klettern ist angesagt, hinauf oder hinab zu Durchgängen, die teilweise so schmal sind, dass man nicht daran glaubt, hindurch zu passen. Mit jedem Schritt, wird der Gang enger, werden die Decken niedriger. Teilweise kommt man nur auf dem Bauch robbend weiter. Im sogenannten „Geburtskanal“ muss man einem vorgegebenen Bewegungsablauf folgen, um überhaupt eine Chance zu haben, die andere Seite und damit den Ausgang der Höhle zu erreichen. Es ist unfassbar, dass man tatsächlich fast eineinhalb Stunden unter Tage gewesen sein soll. Dort unten in der Dunkelheit verliert man nicht nur die räumlich, sondern auch die zeitliche Orientierung.

Enttäuschung beim Auftauchen aus der Finsternis. Es hatte begonnen zu regnen und das Klettern musste abgebrochen werden. Gemäß einem ungeschriebenen Gesetz des Elbsandsteingebirges müssen Bergsteiger mindestens zwei Stunden pausieren, wenn es länger als zehn Minuten regnet. Während die zweite Gruppe in die Höhle hinabsteigt, machen sich die anderen auf den Weg zur „Barbarine“, einer Felsnadel, um die sich zahlreiche Legenden ranken und die als Wahrzeichen des Elbsandsteingebirges gilt.

Später am Nachmittag, die Klasse ist inzwischen wieder vereint, beginnt der Abstieg hinab ins Elbtal zur Fähre der Stadt Königstein. Es sind nur eine paar Kilometer, doch nach dem anstrengenden Tag, wird der Gang von Schritt zu Schritt schwerer. Mit einem Eis in der Hand stehen die Kinder auf dem Boot hinüber zum anderen Ufer der Elbe und genießen den kurzen Moment der Erholung. Weiter geht es. Nun wieder hinauf, hinaus aus dem Elbtal. Tapfer laufen sie, einen Fuß vor den anderen stellend. Sie können nicht mehr und müssen doch weiter. Oben angekommen erstreckt sich das Massiv des Liliensteines vor ihnen. Doch da ist die Erlösung. Falk wartet mit dem Kleinbus an der Straße, bereit die ersten zum Hof zurück zu bringen. Darunter Torte, der später mit Falk und einem zweiten Fahrzeug zurück kommen wird, die restlichen Kinder aufzulesen und zur Unterkunft zu bringen. Später gibt es noch Abendbrot und einen weiteren Auswertungskreis am Lagerfeuer. Heute verstummen die Gespräche schon beizeiten. Trotz wilder Ankündigungen senkt sich bald die Nacht über die Zelte der Schüler.
Der nächste Tag ist auf und um den Aktivhof herum geplant. Nach dem Frühstück wird die Klasse erneut in zwei Gruppen geteilt. Dieses mal entscheidet das Interesse. Es gibt zwei Angebote. Auf dem Hof kann man Filzen und Apfelkuchen backen. Wer dazu keine Lust hat, begibt sich mit Torte auf eine kleine Wanderung in den nah gelegenen Wald, um Äste für das Stockbrot am abendlichen Lagerfeuer zu sammeln. Das gibt Gelegenheit einen kurzen Klettersteig auf den „Fritzschenstein“ zu nehmen, um von oben die Aussicht über das Polenztal und hinüber zum Brandstein zu genießen. Das entschädigt den einen oder anderen für das verpasste Klettern am Vortag.

Nach der Rückkehr auf den Hof und einem Mittagsimbiss kann man mit Torte Bogenschießen ausprobieren. Auf der weiträumigen Tenne der großen Scheune stehen zwei große Zielscheiben. Es sind nur wenige Kinder, die sich in den Mittagsstunden eingefunden haben. Einige ziehen es vor, noch ein wenig zu filzen, andere zollen den kurzen Nächten Tribut und haben sich für ein freiwilliges Mittagsschläfchen ins Zelt zurück gezogen. Sie haben die Möglichkeit, nach dem Apfelkuchenessen am Nachmittag noch einmal mit Falk in die Scheune zu gehen und ihr Können mit Pfeil und Bogen zu testen. Verbissen kämpfen die Kinder mit der Technik, den Pfeil im Anschlag. Zischend schnellen die Sehnen zurück und die Spitzen bohren sich tief in die Strohscheiben. Punkte werden aufgeschrieben, verglichen. Ehrgeiz packt die Schützen. Ausscheidungswettbewerb. Viertelfinale, Halbfinale, Finale. Dem Sieger winkt die Anerkennung und der Neid der anderen. Schließlich gehen sie dazu über, im Sinne Tells einen Apfel als Ziel zu nehmen. Sie versuchen es. Einer nach dem anderen. Der Apfel wackelt. Der Apfel dreht sich, Der Apfel fällt. Einen glatten Durchschuss schafft keiner.

Ein letztes Mal wird das Abendbrot vorbereitet. Ein letztes Mal Auswertungskreis am Lagerfeuer. Reihum sprechen die Kinder von ihren schönsten Erlebnissen, von dem, was ihnen nicht gefallen hat, von dem witzigsten Ereignis, von dem stärksten Gefühl, von dem, was sie am meisten vermissen. Die Höhle und das Bergsteigen, da sind sich alle einig, war das Highlight der Reise. Dann gehen die Meinungen auseinander. Glück fühlen sie und Freude und sogar ein bisschen Stolz. Stolz, ihre Ängste zu überwinden, Stolz, die Höhle bezwungen, den Berg bestiegen zu haben. So nah an der Natur ist für viele der Schüler ungewohnt. Im Zelt zu schlafen, eingeschränkter Luxus, Verzicht. Vier Tage ohne Handy, ohne Computer, ohne MP3-Player, ohne Fernseher ist für viele eine Herausforderung. Doch sie haben es geschafft und die meisten fühlen sich gut damit. Sie sind gezwungen, miteinander zu kommunizieren und füreinander Verantwortung zu übernehmen.

Ein letztes Mal schlüpfen sie in die Schlafsäcke. Noch lange hört man in dieser Nacht das raunende Murmeln in der Finsternis. Ein letztes Mal macht sich ein Trupp Schüler am Morgen auf den Weg zur Küche, das Frühstück vorzubereiten. Ein letztes Mal sitzt die Klasse zusammen auf dem Bänken und isst gemeinsam. Dann heißt es Packen und Saubermachen. Es bleibt wenig Zeit. Der Abschied ist herzlich. Es werden Hände geschüttelt, letzte Fotos gemacht, man verspricht sich ein baldiges Wiedersehen. Die Fahrt mit dem Aktivreiseteam im nächsten Jahr ist längst beschlossen. Noch lange stehen Torte und Falk auf der Straße und winken dem Bus nach. Pünktlich halb zwei bremst der Bus auf der Fürstenstraße in Chemnitz vor der Schule. Die Kinder sind zurück in der großen Stadt, zurück in den Armen ihrer Eltern. Der Alltag hat sie wieder eingeholt und der eine oder andere denkt mit Wehmut zurück an sein eigenes kleines Abenteuer der letzten Tage.

Veröffentlich in der Kategorie "Oberschule" am 27.05.2015

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