Odysseus

Mist. Wieder nicht geschafft. Ich seufzte und setzte mich auf. Kein Auftrittsmorgen ohne Lampenfieber. Egal. Das geht schon wieder weg. Ich schnappte mir nochmal den Text und las mir alles durch. Schrill piepsend erinnerte mich mein Wecker daran, dass es Dienstag morgen war und somit mein Auftrittstag. Ich schwang die Beine aus dem Bett, stand auf und fiel fast wieder zurück, als mir einfiel, dass ich mein neues Kostüm noch anprobieren musste. Egal. Bloß kein Stress. So ist das nunmal im Schauspielhaus. Ich freute mich auch schon auf unsere Aufführung. Wir führten „Odyssee“ auf, die Geschichte des Odysseus. Das Stück haben wir in ein Puppenspiel umgewandelt. Fast fühlt man sich wie ein Kind, wenn man die verschiedenen Puppen sprechen und bewegen lässt. Um sieben, ich muss los.

„Müssen wir unbedingt laufen?“ maulten die Klassen vor der Schule. „Wir können doch auch ebenso wie die anderen mit dem Bus fahren.“ „Es wird gelaufen!“ sagte der Lehrer zum letzten Mal und ging los. Die Kinder liefen nun hinterher. Es hatte ja doch keinen Zweck. Die Mädchen sangen und lachten die ganze Zeit, so ertrug es sich zu laufen. Sie waren bald beim Schauspielhaus angekommen und nun freuten sie sich auf die Vorstellung. Eine Lehrerin verteilte vor dem Eingang die Karten und die Mädchen gingen schon mal rein. Die Klasse kam nach und sie setzten sich. Sie waren überrascht, sie hatten einen größeren Saal erwartet, aber auf der Bühne vor ihnen war ein schöner, altmodischer Raum eingerichtet und ein Tuch hing von der Decke herab. Dahinter waren wohl noch mehr Sachen und Requisiten, wie Schatten verrieten. Das Stück, was sie sich anschauten, war „Odyssee“, die Geschichte von Odysseus und dem Krieg Troja. Langsam kamen auch die anderen Kinder hinein.

Ich spürte durch die Tür, wie sich der Saal langsam füllte. Wir drei waren schon in unseren Kostümen, und meins hatte einen weißen Rock und passte mir zum Glück. Ich zog nochmal den Kranz in meinen Haaren zurecht, da ertönte die Musik und ich lief mit meinen zwei Kollegen auf die Bühne. Zuerst musste ich den Anfang der Geschichte erzählen, während meine Kollegen dabei die Puppen spielten. Schon am Anfang der Sätze spürte ich, wie es im Publikum immer leiser wurde und alle Augen auf mich gerichtet waren.

Wie saßen in der vierten Reihe, und als das Licht ausging, fing eine der Schauspielerinnen an zu erzählen. Sie erzählte von Odysseus und seiner Familie, während die anderen zwei dazu die Puppen spielten. Als Odysseus und seine Männer wegen des Krieges Troja in See stachen, spielten sie alle drei, und mir gefiel es, weil sie nicht nur mit den Puppen, sondern auch mit sich selbst und ihren Körpern spielten. Das Stück war wunderbar aufgebaut und präsentiert. Als es zu Ende war, konnte ich sehen, wie glücklich die Schauspieler aussahen, und wie stolz sie waren.

Als sich der Vorhang hinter uns schloss, fielen wir uns um den Hals. „Das war der beste Auftritt von allen.“, sagte meine Kollegin. „Ja.“ sagte ich, „Ja, das war er“

 

Frederike Tischendorf

Veröffentlich in der Kategorie "Oberschule", "Gymnasium" am 12.10.2015

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